Von Opern und Zinserhöhungen

INVESTAS Anlegerbrief Nr. 3 | Mai 2023

 

«It ain’t over ‹till the fat lady sings». Der trockenen Kehle dürstet es nach Flüssigem, der stoffige Sitz droht durch die unruhigen Reibungen in Flammen aufzugehen, bevor die Schwerkraft allmählich die Kontrolle über die Augenlider zu übernehmen beginnt.

 

Vorne auf der Bühne besingt Brünnhilde voller Innbrunst ihre Rache am betrügerischen Siegfried, doch das weitere Schicksal des «Rheingoldes» steht klar im Schatten des Wunsches auf kühles Weizengold. Im Prospekt zur Opernaufführung von Wagners Götterdämmerung war die Spielzeit von 4.5 Stunden transparent deklariert und trotzdem hofft man bei jeder länger gesungenen Note innigst, dass dies doch die letzte gewesen sein möge. Aber eben, es ist nicht vorbei, solange die (vormals wohl beleibte) Sopranistin noch singt.

Die Hoffnung auf ein vorzeitiges Ende ist zurzeit auch das dominierende Thema an den Märkten: Viele Marktsignale deuten darauf hin, dass die Zinsen der entwickelten Währungsräume ihren Höhepunkt entweder bereits erreicht haben oder kurz davor stehen diesen zu erreichen. Diese Erwartung erfolgt aus guten Gründen: Die Inflationsraten sind seit Januar in sämtlichen entwickelten Volkswirtschaften rückläufig, der amerikanische Arbeitsmarkt zeigt erste Anzeichen einer Abkühlung und höhere Zinsen könnten die Finanzstabilität gefährden, wie der Kollaps einiger Banken in den vergangenen Monaten deutlich veranschaulicht hat. Für die Notenbanken besteht folglich nicht nur kein Anlass, die Zinsen noch weiter anzuheben, sondern vielmehr eine solide Argumentationsbasis diese in einem nächsten Schritt wieder zu senken oder zumindest konstant zu halten. In der Folge positionieren sich die Marktteilnehmer für tiefere Zinsen, was in einer äusserst flachen (Euroraum und Schweiz) oder gar inversen (USA) Zinskurve resultiert, wie in Abbildung 1 zu sehen ist.

Haben die Massnahmen der Notenbanken der vergangenen 18 Monate denn nun bereits genügt, um der Inflation Einhalt zu gebieten? Oder liegt der Markt falsch und es bedarf noch weiterer Schritte, bis die Inflation ähnlich den Göttern in Wagners Oper dem Untergang geweiht ist? Hier ein paar Argumente, warum der finale E-Dur-Akkord, welcher die Götterdämmerung beschliesst, in unserem Bühnenwerk der Finanzmärkte möglicherweise doch noch nicht gefallen ist.

Abbildung 1: Zinskurven (Swaps) der Schweiz (CHF), der Eurozone (EUR) und den USA (USD).

 

Nachfrageüberhang

Drei Faktoren sprechen dafür, dass der Nachfrageüberhang, welcher am Ende die Inflation antreibt, mittelfristig noch weiter bestehen könnte.

Wie im letzten Anlegerbrief («Nr 2 – von Diäten und Staatsschulden») zu lesen war, ist die Fiskalpolitik von Präsident Biden äusserst expansiv, und vieles spricht dafür, dass er diese künftig noch ausgabefreudiger ausgestalten wird. Biden argumentiert gerne, dass diese Staatsausgaben am Ende für den historischen Arbeitsmarktboom mitverantwortlich seien. Evidenz von anderen Ländern zeigt jedoch klar, dass die Arbeitslosenquote sich auch ohne übermässige fiskalpolitische Bemühungen auf Tiefststände zubewegt hätte. Diese zusätzlichen staatlichen Ausgaben wirkten folglich in erster Linie inflationssteigernd.

Die rekordtiefen Arbeitslosenquoten könnten als zweiter Faktor auch den Beginn einer Lohn-Preis-Spirale darstellen, in welcher erhöhte Lohnforderungen die Unternehmen dazu veranlassen, die Preise weiter nach oben zu schrauben, was wiederum zu höheren Lohnforderungen seitens Arbeitnehmer führt usw. Die aus Konsumentenumfragen der Universität Michigan abgeleiteten langfristigen Inflationserwartungen lassen zumindest für die USA befürchten, dass weite Teile der Bevölkerung eher von steigenden Inflationsraten ausgehen, was auch die Lohnvorstellungen der Arbeitnehmer nicht unberührt lassen dürfte.

Der letzte Faktor ist demographischer Natur: Mit der Überführung der geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge in die Pensionierung ist ein deutlicher Rückgang der Spar- und eine Erhöhung der Ausgabequoten zu befürchten. Wenn diese Kohorte ihr Erspartes nicht mehr weiter anhäuft, sondern zu verzerren beginnt, führt die Verknappung des Sparkapitals zu höheren Zinsen und die gestiegene Nachfrage zu mehr Inflation.

Abbildung 2: Kerninflation in der Schweiz, der Eurozone und den USA.

 

Kerninflation

Ökonomen machen eine klare Unterscheidung zwischen «Inflation» und der «Kerninflation». Während erstere die generelle Steigerung der Preise eines repräsentativen Warenkorbes darstellt, werden bei zweiterer volatile Komponenten – in der Regel Energie und Nahrungsmittel ausgeschlossen. Die Kerninflation wird folglich gerne als stabileres Mass für die Entwicklung der Preise herangezogen. Wie Abbildung 2 zeigt, ist bei der Kerninflation momentan noch von keiner Entspannung zu sprechen.

 

Negative Realzinsen

Sind die Zinsen denn nun tatsächlich so hoch? Abbildung 3 zeigt die Realzinsen – definiert als Differenz zwischen den kurzfristigen Zinsen und der Inflationsrate – für die USA, Eurozone und die Schweiz. Diese befinden sich trotz den gestiegenen nominalen Zinsen immer noch im negativen Territorium. Wie hoch das natürliche Level der Realzinsen in der langen Frist sein sollte, kann niemand beziffern. Als gute Vergleichsgrösse dient jedoch das Realwachstum einer Volkswirtschaft. Für die Schweiz muss konstatiert werden, dass während das Wachstums in den vergangenen 10 Jahren positiv ausgefallen ist, die Realzinsen über weite Teile negativ waren. Negative Realzinsen sind gleichbedeutend mit einem Umfeld, in dem es attraktiv ist Schulden zu haben, da diese aufgrund der Geldentwertung im Durchschnitt stärker an Wert verlieren, als der darauf zu entrichtende Zins ausfällt. In der Praxis muss ein Schuldner natürlich nicht nur den Zins, sondern auch eine seinem Ausfallrisiko entsprechende Kreditmarge entrichten. Trotzdem ist die momentane Zinslandschaft folglich nicht gleichbedeutend mit einem geldpolitisch äusserst restriktiven Regime; denn vor der Finanzkrise 2008 waren positive Realzinsen eigentlich der Normalzustand. Selbst wenn die Inflation in der Schweiz auf 2% sinken und die Nationalbank im Juni die antizipierte Zinserhöhung von 0.25% auf 1.75% durchführen sollte, wären die Realzinsen gemäss unserer Herleitung immer noch leicht negativ.

Abbildung 3: Realzinsen, definiert als Differenz zwischen den nominelle 1-Jahres Swapsätzen und den Inflationsraten der Schweiz, Eurozone und den USA.

 

Das betrifft die Schweiz doch gar nicht

Man ist aufgrund der hierzulande im Vergleich zum Ausland eher tiefen Inflationsraten versucht zu denken, dass wenn beispielsweise in den USA oder im Euroraum noch weitere Zinserhöhungen zur Inflationsbekämpfung durchgeführt oder zumindest von den antizipierten Zinssenkungen abgesehen werden sollte, dies die Schweiz nicht weiter betrifft. Wir haben die Inflation doch im Griff.

Um diesen Gedanken zu widerlegen, muss man sich kurz vor Augen führen, was mitunter ein Grund ist, weshalb die Inflation in der Schweiz vergleichsweise tief ausfällt: Einmal mehr der Schweizer Franken. Dieser hat sich in den vergangenen 18 Monaten gegenüber anderen Währungen stark aufgewertet und damit eine Explosion der Preise der Importwaren verhindert. Wird die Zinsdifferenz zwischen den grossen Währungsräumen und der Schweiz jedoch zu gross, verliert der Schweizer Franken an Attraktivität, was eine Abwertung und damit höhere Preise bei importierten Gütern mit sich ziehen würde. Dieses Szenario wird die Nationalbank tunlichst zu vermeiden versuchen und damit die Zinsen nicht zu stark vom Ausland divergieren lassen.

 

Was wir bei INVESTAS tun

Auf Basis genannter Argumente muss bei der momentanen Marktmeinung, dass Zinserhöhungen durch die Notenbanken der Vergangenheit angehören, zumindest das Vorsichtsprinzip angewendet werden. In Kombination mit der Tatsache, dass das Halten von mittel- und längerfristigen Wertpapieren zurzeit kaum entlöhnt wird, positionieren wir unsere festverzinslichen Portfolios am kurzen Ende der Zinskurve. Falls das Pendel tatsächlich umschwenken und sich weitere Zinserhöhungen am Horizont abzeichnen sollten – was höhere Zinsen am mittleren und langen Ende zur Folge hätte – würden die kurz angebundenen Portfolios kaum an Wert verlieren, während eine ausgezeichnete Ausgangslage  geschaffen wäre, um von den höheren Zinsen zu profitieren. Denn im Gegensatz zur Oper weiss hier nicht einmal der Dirigent, wie lange das Stück noch dauern wird.

 

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